Erleidet ein Patient aufgrund eines Hygienemangels einen körperlichen Schaden, kann grundsätzlich ein Anspruch auf finanzielle Entschädigung bestehen.
Was wird geschuldet?
Ausgangspunkt rechtlicher Ansprüche ist der Behandlungsvertrag. Gemäß § 630a Abs. 2 BGB hat die Behandlung nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen, soweit nicht etwas anderes vereinbart ist. Für den Bereich der Hygiene bedeutet dies, dass das Krankenhaus oder der Arzt seinen vertraglichen Pflichten jedenfalls genügt, wenn bei der Behandlung die zu diesem Zeitpunkt gültigen Standards eingehalten werden. Dieses leitet sich aus den allgemein anerkannten Sorgfaltspflichten und den speziell für den Bereich der Hygiene geschaffenen Vorschriften, vor allem dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) ab, das die Sorgfaltsanforderungen an Hygiene im Krankenhaus maßgeblich prägt. Insbesondere sind die herausgegebenen Empfehlungen der beim Robert-Koch-Institut eingerichteten Kommissionen für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO), sowie Antiinfektiva, Resistenz und Therapie (ART) relevant. Werden die von diesen Kommissionen veröffentlichten Empfehlungen eingehalten, so wird die Einhaltung des Standes der medizinischen Wissenschaft vermutet (§ 23 Abs. 3 Satz 2 IfSG).
Haftungsrechtlich relevant wird die Keiminfektion also immer dann, wenn die Hygienevorschriften nicht eingehalten wurden und so der erforderliche hygienische Standard nicht eingehalten wird.
Wer trägt die Darlegungs- und Beweislast?
Hinsichtlich der gerügten Hygienemängel und der eingetretenen Infektion trägt grundsätzlich – den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen entsprechend – die Klagepartei die Darlegungs- und Beweislast.
Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers, den Eintritt eines Körper- oder Gesundheitsschadens und die Kausalität zwischen Behandlungsfehler und dem Körper- oder Gesundheitsschaden liegt im Arzthaftungsprozess grundsätzlich beim Patienten und zwar sowohl für Ansprüche aus Vertrag als auch aus Delikt (OLG München vom 26.09.2013 – Az. 1 U 1665/12 – Rz. 43). Dies entspricht den allgemeinen prozessrechtlichen Grundsätzen, dass die klagende Partei alle ihr günstigen Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch beweisen muss.
Vielen Betroffenen fällt es im Schadensfall schwer, das Krankenhaus zu verklagen und ihre Ansprüche gegen die Klinik vor Gericht durchzusetzen. Denn dort muss grundsätzlich der Patient zunächst schlüssig darlegen (und auch beweisen), dass seine Erkrankung auf mangelnde Hygiene im Krankhaus zurückgeht. Da der Patient naturgemäß keine medizinischen Kenntnisse oder Informationen über die Abläufe im Krankhaus hat, ist bereits die schlüssige Darlegung eines Hygienefehlers in den meisten Fällen nur schwer oder gar nicht möglich.
Der BGH hat dieses Problem erkannt und bereits 2016 entschieden, dass es für die Darlegungslast genügt, wenn Tatsachen vorgetragen werden, die einen Hygienefehler vermuten lassen (BGH, Beschluss vom 16.08.2016 – VI ZR 634/15). Dann sei es Sache des Krankenhauses darzulegen, dass die geltenden Hygienestandards des Robert-Koch-Instituts (RKI) eingehalten wurden (sogenannte sekundäre Darlegungslast). Diese Rechtsprechung hat der BGH nun mit seinem Urteil vom 19. Februar 2019 – VI ZR 505/17 bestätigt.
Neben der schlüssigen Darlegung eines Hygienefehlers muss der Patient auch einen solchen Hygienefehler grundsätzlich vollständig beweisen. Auch diesbezüglich befindet sich der Patient in erheblicher Beweisnot, da er in der Regel keine Kenntnisse oder Informationen von internen Abläufen im Krankenhaus hat.
Gibt es Ausnahmen von diesem Grundsatz?
Aufgrund dieser Beweisnot hat die obergerichtliche und höchstrichterliche Rechtsprechung eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass der Patient die Beweislast trägt, entwickelt.
Ausnahmen von diesem Grundsatz ergeben sich nur dort, wo sich ein Risiko verwirklicht, das von der Behandlerseite aus hätte voll beherrscht werden können und müssen. Erst im Falle eines sogenannten „voll beherrschbaren Risikos“ muss die Behandlerseite darlegen und beweisen, dass sie alle erforderlichen organisatorischen und technischen Vorkehrungen ergriffen hatte, um das Risiko zu vermeiden (BGH vom 08.01.1991 – Az. VI ZR 102/90 – Rz. 11 BGH vom 16.08.2016 – Az. VI ZR 634/15 – Rz. 6; so nunmehr auch in dem seit Februar 2013 geltenden § 630h Abs. 1 BGB).
Was ist der voll beherrschbare Risikobereich?
Voll beherrschbare Risiken sind, wie der BGH (Urteil vom 16.08.2016 – Az. VI ZR 634/15 – Rz. 6) ausgeführt hat,
„dadurch gekennzeichnet, dass sie durch den Klinik- oder Praxisbetrieb gesetzt werden und durch dessen ordnungsgemäße Gestaltung ausgeschlossen werden können und müssen. Sie sind abzugrenzen von den Gefahren, die aus den Unwägbarkeiten des menschlichen Organismus bzw. den Besonderheiten des Eingriffs in diesen Organismus erwachsen und deshalb der Patientensphäre zuzurechnen sind. Denn die Vorgänge im lebenden Organismus können auch vom besten Arzt nicht immer so beherrscht werden, dass schon der ausbleibende Erfolg oder auch ein Fehlschlag auf eine fehlerhafte Behandlung hindeuten würden (Senatsurteil vom 18. Dezember 1990 – VI ZR 189/90, VersR 1991, 310, 311). Dem voll beherrschbaren Bereich ist beispielsweise die Reinheit des benutzten Desinfektionsmittels (Senatsurteil vom 09. Mai 1978 – VI ZR 81/77, VersR 1978, 764) oder die Sterilität der verabreichten Infusionsflüssigkeit (Senatsurteil vom 03. November 1981 – VI ZR 119/80, VersR 1982, 161) zuzurechnen. Gleiches gilt für die vermeidbare Keimübertragung durch an der Behandlung beteiligte Personen (Senatsurteile vom 20. März 2007 – VI ZR 158/06, BGHZ 171, 358 Rn. 8 f.; vom 08. Januar 1991 – VI ZR 102/90, VersR 1991, 467, 468). All diesen Fällen ist gemeinsam, dass objektiv eine Gefahr besteht, deren Quelle jeweils festgestellt und die deshalb mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann (Senatsurteil vom 20. März 2007 – VI ZR 158/06, BGHZ 171, 358 Rn. 11). Bei ungeklärter Infektionsquelle kommt eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast nach den Grundsätzen über das vollbeherrschbare Risiko dagegen nicht in Betracht. Sie tritt vielmehr nur dann ein, wenn feststeht, dass der Gesundheitsschaden aus der von der Behandlungsseite vollbeherrschbaren Sphäre hervorgegangen ist (vgl. Senatsurteile vom 20. März 2007 – VI ZR 158/06, BGHZ 171, 358 Rn. 9; vom 17. Januar 2012 – VI ZR 336/10, VersR 2012, 363 Rn. 20; vom 18. Dezember 1990 – VI ZR 189/90, VersR 1991, 310, 311; vom 08. Januar 1991 – VI ZR 102/90, VersR 1991, 467, 468).“
Was folgt daraus?
Nach der Rechtsprechung muss auch im Falle eines behaupteten Hygienemangels zunächst der Patient den Nachweis führen, dass eine bei ihm eingetretene Infektion aus einem hygienisch beherrschbaren Bereich der Behandlerseite hervorgegangen sein muss (BGH vom 08.01.1991 – Az. VI ZR 102/90 – Rz. 11). Erst wenn dies feststeht, kann eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast für die Kausalität eines Hygienemangels für eine Infektion und zugleich auch für das Verschulden hinsichtlich des Hygienemangels angenommen werden. Denn absolute Keimfreiheit gibt es im Operationsbereich nicht. Im Hinblick darauf gehören Keimübertragungen, die sich aus nicht beherrschbaren Gründen und trotz Einhaltung der gebotenen hygienischen Vorkehrungen ereignen, zum entschädigungslos bleibenden Krankheitsrisiko des Patienten; das Auftreten einer Infektion als solches stellt keinen Anhaltspunkt für einen haftungsbegründenden Hygienemangel dar (BGH vom 08.01.1991 – Az. VI ZR 102/90 – Rz. 11; vgl. dazu auch BGH vom 16.08.2016 – Az. VI ZR 634/15 – Rz. 6 zu einer Infektion mit sensiblem Staphylococcus aureus; OLG Hamm 20.03.2012 – Az. 26 U 78/11 – Rz. 66 f. zu einer Infektion mit MRSA).
Fazit
Die rechtlichen Konsequenzen mangelnder Hygiene sind gravierend. Bei Hygienemängeln führt also deren Aufdeckung regelmäßig zur Haftung desjenigen, der für die Einhaltung der geltenden Standards organisatorische Vorkehrungen treffen muss. Die Rechtsprechung hilft Patienten zunächst bei der Darlegung von Hygienefehlern über das Instrument der sekundären Darlegungslast. Zudem löst die Rechtsprechung die Beweisnot der Patienten über das Konstrukt des voll beherrschbaren Risikobereiches. Denn sobald der Infektionsfall dem hygienisch beherrschbaren Bereich zuzuordnen ist und sich damit ein Risiko verwirklicht hat, das durch den Arzt gesetzt wurde und durch sachgerechte Organisation objektiv vermeidbar war, kommt dem Patienten eine enorme Beweiserleichterung zugute.
Insofern bestehen aufgrund der erheblichen Erleichterung bei der Darlegungs- und Beweislast von Hygienefehlern gute Aussichten, Schadensersatzansprüche diesbezüglich erfolgreich geltend zu machen.
Ein Beitrag von Daniel Mahr