Schäden bei Neugeborenen kommen immer wieder vor und stellen Familien zunächst vor eine außerordentliche emotionale Belastung. Da Geburtsschäden das betroffene Kind und die gesamte Familie häufig ein Leben lang begleiten, kommen oftmals auch noch finanzielle Sorgen hinzu.
Was ist ein Geburtsschaden?
Unter einem Geburtsschaden versteht man zusammengefasst alle Schädigungen oder Verletzungen des neugeborenen Kindes, die im Zusammenhang mit der Schwangerschaft oder des Geburtsvorgangs entstanden sind. Sie zählen zu den gravierendsten und schwierigsten Schadensfällen im Bereich des Arzthaftungsrechts.
Tritt beim Neugeborenen beispielsweise während der Geburt ein Sauerstoffmangel auf, kann dieser zu einem irreversiblen Hirnschaden führen, der ein normales Leben unmöglich macht.
Das Kind wird von Geburt an und auf Dauer ein schwerster Pflegefall. Das ist nicht nur emotional eine Katastrophe, sondern hat auch dramatische existenzielle Auswirkungen. Zur Sorge um ihr Kind kommt die Sorge um die wirtschaftliche Zukunft der Familie und die Versorgung ihres Kindes – auch dann, wenn sich die Eltern später aus Altersgründen nicht mehr selbst um ihr Kind kümmern können.
Behandlungsfehler vor, während oder nach der Geburt können daher nicht selten lebenslange Folgen haben. Ein Geburtsschaden verursacht unvorstellbares Leid und stellt Familien und Angehörige vor eine extreme Ausnahmesituation. Der Wunsch der Eltern, ihr Kind für die Zukunft finanziell abzusichern, ist dabei mehr als verständlich.
Wann und wo können Geburtsschäden auftreten?
Während der Geburt kann es zu Geburtsschäden kommen, wenn beispielsweise auf eine Notsituation beim noch ungeborenen Kind zu spät reagiert wird. Ein nicht rechtzeitig oder auch fehlerhaft ausgeführter Not-Kaiserschnitt kann erhebliche Folgen haben. Auch kann das Kind durch ein schlecht ausgeführtes Geburtsmanöver verletzt werden.
Häufige Folgen sind neben einer Sauerstoffunterversorgung und einer damit verbundenen Hirnschädigung auch Lähmungserscheinungen, die vor allem den Fazialisnerv (Nervus facialis) und das Armnervengeflecht (Armplexus) betreffen. Drückt etwa die Geburtszange auf den Gesichtsnerv, sind die Gesichtsmuskeln des Kindes vorübergehend unbeweglich. Kommt das Kind mit dem Becken voran zur Welt (Beckenendlage), wirkt ein starker Zug auf die Arme. Schäden am oberen Armnervengeflecht (Duchenne-Erb-Lähmung) schränken die Beweglichkeit von Schulter und Arme ein. Schäden am unteren Armnervengeflecht (Klumpke-Lähmung) betreffen Hände und Finger, eventuell auch Augenlider und Pupillen.
Geburtsschäden können nicht nur bei der Geburt selbst auftreten, sondern auch bereits im Vorfeld der Geburt. Werden zum Beispiel im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge beim Frauenarzt im CTG die kindliche Herzfrequenz oder die Wehentätigkeit nicht richtig gelesen, kann dies zu Problemen bei der späteren Geburt oder zu Fehleinschätzungen seitens des behandelnden Frauenarztes führen. Auch sollten die Blutwerte durchgehend erfasst und ausgewertet werden und sowohl die Mutter als auch das Kind müssen vor und während der Geburt unter genauer Beobachtung stehen. Nur so kann der richtige Zeitpunkt für die Geburt erkannt und auf mögliche Komplikationen so früh wie möglich reagiert werden. Wird dies nicht oder in unzureichendem Maße getan, so kann auch diese Pflichtverletzung zu Geburtsschäden führen.
Eine ausreichende Aufklärung über die Geburtsoptionen (vaginale Geburt, Kaiserschnitt, Geburt in Beckenendlage, äußere Drehung des Kindes, etc.) ist zudem ebenfalls notwendig. Eine Aufklärung über einen Kaiserschnitt ist auch dann schon geboten, wenn sich abzeichnet, dass im weiteren Verlauf des Geburtsvorgangs eine Situation eintreten könnte, in der ein Kaiserschnitt indiziert wäre. Eine Aufklärung über die Option Kaiserschnitt ist daher rechtzeitig vorzunehmen, um wertvolle Zeit zu sparen. Wenn sich eine Gefahr abzeichnet, muss die Einwilligung für eine Notmaßnahme zu einem Zeitpunkt eingeholt werden, in dem sich die Mutter noch in einem Zustand befindet, in dem diese Problematik mit ihr besprochen werden kann.
Auch die Kindesmutter kann im Verlauf einer Geburt ernste gesundheitliche Schäden davontragen. Werden zum Beispiel im Rahmen der Geburtseinleitung Medikamente, beispielsweise wehenfördernde Medikamente, falsch verabreicht, kann es zu schweren Nebenwirkungen wie etwa dem Riss der Gebärmutter oder der Plazentaablösung kommen. Oftmals werden bei der Geburtseinleitung wehenfördernde Medikamente im Rahmen eines sogenannten „Off-Label-Use“ verabreicht. „Off-Label-Use“ bedeutet sinngemäß „nicht bestimmungsgemäßer Gebrauch“. Das bedeutet, dass dieses Medikament in Deutschland eigentlich für einen anderen Zweck als die Geburtseinleitung zugelassen ist. Hierbei ist eine besondere und sorgfältige Aufklärung über die Risiken der Medikamentengabe im Rahmen des „Off-Label-Use“ erforderlich.
Zusammengefasst müssen Ärzte, Hebammen und Krankenhäuser alles technisch, medizinisch und organisatorisch Notwendige tun, um eine möglichst optimale Geburt zu gewährleisten. Zudem ist stets eine ausreichende Aufklärung erforderlich. Wenn in der Geburtsphase etwas schiefzulaufen droht, kann jeder Augenblick für das Leben und die Gesundheit von Mutter und Kind entscheidend sein.
Welche Schadenspositionen gibt es?
Welche rechtlichen Konsequenzen sich aus Behandlungsfehlern, Aufklärungsfehlern, Ärztefehlern oder Hebammenfehlern vor oder während der Geburt ergeben, wird im Geburtsschadensrecht geregelt. Dies umfasst auch Organisationsfehler wie etwa eine personelle Unterbesetzung im Krankenhaus oder Abweisung im Kreißsaal. Im Geburtsschadensrecht geht es nicht nur um Schadensersatz oder Schmerzensgeld, sondern auch um die rechtliche Betrachtung zukünftiger, heute noch gar nicht absehbarer Folgeschäden.
In der Regel besteht ein Schmerzensgeldanspruch, wenn es wegen einer Fehlbehandlung zu einem Geburtsschaden beim Kind oder zu Verletzungen bei der Mutter gekommen ist. Diese Schmerzensgeldansprüche können je nach Einzelfall als Einmalzahlung oder in Form einer Schmerzensgeldrente gewährt werden.
Neben einem Schmerzensgeldanspruch kann auch weiterer Schadensersatz geschuldet sein. Hierzu zählen Kosten für notwendige Folgebehandlungen, Pflege, Ersatz der Kosten für eine Pflegekraft, Therapie für Mutter und Kind, Kosten für Medikamente oder medizinische Hilfsmittel, aber auch Kosten für den notwendigen behindertengerechten Umbau des Hauses, der Wohnung und Autos.
Schließlich gehört auch ein Erwerbsminderungsschaden zum Schadensersatz und auch die Entschädigung für den Verdienstausfall der Eltern, wenn diese die Pflege übernehmen
Kommt es zum Tod der Mutter, können ihren Angehörigen (Ehepartner und Kindern) Barunterhaltsschäden oder Betreuungsunterhaltsschäden zustehen.
Von besonderer Bedeutung ist auch ein sog. Feststellungsantrag, der stets geltend gemacht werden sollte, um auch zukünftige Schäden, die vielleicht direkt nach der Entbindung noch gar nicht absehbar sind, zu erfassen. Wird dieser Anspruch nicht geltend gemacht, kann die Gefahr bestehen, dass spätere Ansprüche verjährt sind.
Wie ist das Vorgehen bei einem Geburtsschaden?
Der wohl wichtigste Punkt ist der Nachweis, dass der vorliegende Geburtsschaden tatsächlich durch ein Fehlverhalten bzw. einen Behandlungsfehler des medizinischen Fachpersonals entstanden ist. Erst wenn sich der entstandene Geburtsschaden auf einen Fehler des Arztes, der Hebamme, oder des Krankenhauses zurückführen lässt, entsteht ein Anspruch auf Entschädigung.
Ein eindeutiger Vorteil ist dabei, wenn sich bereits frühzeitig entsprechende Notizen gemacht und Fotos gefertigt werden. Auch sollten schnellstmöglich Dokumente und Behandlungsunterlagen gesichert werden. Denn grundsätzlich ist im Arzthaftungsrecht der Patient in der Beweispflicht.
Diese Beweispflicht kann auch dem medizinischen Personal zukommen, wenn dieses zum Beispiel die Patientenakte nicht zuverlässig und vollständig geführt hat oder unqualifiziertes Personal an der Geburt bzw. der anschließenden Behandlung beteiligt war. Dann muss die Behandlerseite den Nachweis führen, dass sie nicht für die entstandenen Schäden verantwortlich ist.
Auch bei einem sogenannten groben Behandlungsfehler kommt es zu einer Beweislastumkehr. Im Falle eines groben Behandlungsfehlers muss die Behandlerseite beweisen, dass keine medizinische Falschbehandlung vorliegt bzw. diese nicht mit dem Gesundheitsschaden in Zusammenhang steht. Ein grober Behandlungsfehler setzt im Bereich der Arzthaftung nicht nur einen eindeutigen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse voraus, sondern erfordert auch die Feststellung, dass ein Fehler vorliegt, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (BGH, Urt. v. 19.06.2001 – VI ZR 286/00).
Außergerichtliche Einigung oder Gang vor das Gericht?
Die Regulierung eines Geburtsschadens ist eine bedeutende Angelegenheit. Das richtige Vorgehen ist dabei entscheidend. Insbesondere muss stets die regelmäßige Verjährungsfrist von 3 Jahren im Blick behalten werden, damit die Ansprüche auch durchsetzbar bleiben.
Zunächst sollten Beweise gesichert und dazu die kompletten Behandlungsunterlagen angefordert, ausgewertet und juristisch aufgearbeitet werden. Nicht selten ergeben sich hier bereits erste Hinweise auf Behandlungs- und Aufklärungsfehler.
Sodann sollten alle entstanden und zukünftig noch entstehenden Schäden beziffert werden. Die Ansprüche müssen dann bei der Behandlerseite bzw. deren Haftpflichtversicherung angemeldet werden. Oft ergeben sich dann bereits Möglichkeiten einer außergerichtlichen gütlichen Einigung.
Der Vorteil einer außergerichtlichen gütlichen Einigung besteht darin, dass ein solches Verfahren in der Regel deutlich schneller abgeschlossen werden kann als beim Gang vor Gericht und dadurch schnell Klarheit und Rechtssicherheit besteht.
Ist eine außergerichtliche Einigung aber nicht möglich oder in Anbetracht der Schädigung nicht angemessen, sollten die Ansprüche gerichtlich geltend gemacht werden – notfalls auch durch alle Instanzen. Keinesfalls sollte vorschnell eine etwaige Vergleichszahlung angenommen und im Gegenzug auf alle vergangenen und zukünftigen Schadenspositionen durch eine umfangreiche Ausgleichsklausel verzichtet werden. Die Annahme eines Vergleichs bedarf einer sorgfältigen Prüfung und Aufklärung durch Spezialisten.
Falls erforderlich, ist auch das Rechtsmittel der Berufung zu prüfen. Gerade bei streitigen Rechtsfragen und bei der Beurteilung der Beweislast kann es zu einer vom erstinstanzlichen Gericht abweichenden Rechtsansicht durch den Berufungssenat kommen. Ein Erfolg des Klageverfahrens oder eine gütliche Einigung sind auch noch in der zweiten Instanz grundsätzlich möglich.
Fazit
Es ist schnelles, sorgfältiges und kompetentes Handeln gefragt. Neben dem fachlichen Wissen sind insbesondere auch Erfahrung bei der Regulierung von Großschäden, Einfühlungsvermögen und Empathie wichtig. Bevor endgültige Entscheidungen getroffen werden ist eine ausführliche Beratung durch Spezialisten dringend zu empfehlen.
Ein Beitrag von Daniel Mahr